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Freitag, 12. September 2014

Spoilerecke - Das erwartet Euch in Band 5 der Rockstarreihe!!

Quelle: geschrieben von Teresa Sporrer in Lovelybooks.de

Die Leserunde zu Band 5 startet iwann im November (Bewerbungszeit), da es ja am 4. Dezember erscheint :)

Und auch hie rnoch ne Sneak Preview :)

Prolog

Las Vegas, Baby!
»Noch ein Gläschen Wein, Ellen?«, fragte mich Brandon und tippte mein leeres Glas mit dem Zeigefinger an.
Ich hörte, wie er den Typen an der Bar um eine weitere Flasche Rotwein und einen Whisky pur mit Eiswürfeln für sich bat.
Meine Augen waren von der ganzen Rumheulerei stark verquollen. Durch den Tränenschleier sah ich nur seine verschwommene Gestalt, die auf einem Barhocker saß. Ein dunkler Fleck an der hellen Hotelbar.
Die anderen Gäste waren bestimmt schon vor mir geflüchtet, nur dieser amerikanische junge Mann war bei mir geblieben und lud mich andauernd auf seine Kosten ein.
Ich wusste genau, was er damit bezwecken wollte. Mein ganzer Körper kribbelte vor Aufregung.
Soll ich etwa …? Nein, ich kann doch nicht einfach … Aber warum denn nicht? Ich bin eine erwachsene Frau!
»Du füllst mich total ab!«, schluchzte ich. »Ich fühle mich jetzt schon ganz ...«
Trotzdem schob ich mein Glas zu ihm, damit er mir noch ein wenig Alkohol einschenken konnte.
Ich wusste eigentlich nicht einmal mehr, was ich gerade beweinte. Brandons Aufmerksamkeit hatte ich durch einen Tobsuchtsanfall, ausgelöst dadurch, dass mein Bruder sich in das Sängerinnen-Flittchen einer Rockband verliebt hatte und sich dadurch das ganze Leben verpfuschte. Und als wäre das nicht schon genug, war meine kleine Schwester auch zu ihnen übergelaufen: Sie nannte sich nun „Kali“, war tätowiert und ebenfalls die Sängerin einer Band voller zwielichtiger Gesellen, unter anderem David Kreil! Als ich noch aufs Gymnasium gegangen war, hatte man das Gerücht verbreitet, dass er heroinabhängig sei. Was er, wie er selbst zugegeben hatte, auch gewesen war. Wie konnte sie ihn in der Band haben? Und noch wichtiger: Wie konnte sie mit seinem Halbbruder zusammen sein? Ich verstand sie nur ein ...
Nein, ich verstand sie gar nicht. Man konnte so ein Leben nicht leben.
Das war nicht meine vernünftige kleine Schwester.
Irgendwann, zwischen einem weiteren Wutanfall und meinem dritten Gläschen Wein, das mir Brandon großzügig ausgegeben hatte, war ich dann aber in Tränen ausgebrochen.
Ian und Zoey hatten mir immer viel bedeutet und nun? Was war mit ihnen passiert?
Hätte ich Thomas nicht geheiratet und wäre bei meiner Familie geblieben, wäre das alles nie passiert!
Ich würde nicht an der Bar eines Fünf-Sterne-Hotels in Las Vegas sitzen, frisch geschieden, und hätte auch nicht die halbe Familie verloren.
»Das streite ich nicht ab, Ellen.« Er schenkte mir ein weiteres Glas ein, aber als ich es nehmen wollte, legte er seine Hand auf meine. Ich sah ihn überrascht an. »Ich könnte dir die Erinnerungen an deinen Ex-Mann für eine Nacht nehmen, ebenso wie deine Sorgen um deine Geschwister«, bot er mir mit seiner verführerischen, dunklen Stimme an. Irgendetwas an ihr zog mich in seinen Bann, obwohl sein englisch ohne irgendeinen erkennbaren Akzent war. »Schlaf mit mir.«
»N-«
Das Wort blieb mir in der Kehle stecken.
Ich wischte mir die Tränen aus den Augen und sah Brandon an. Er hatte etwas längere dunkelblonde Haare, die ihm in die Stirn und teilweise schon über die haselnussbraunen Augen fielen. Einige helle Bartstoppeln in seinem gebräunten Gesicht zeugten davon, dass er sich wohl einige Tage nicht mehr rasiert hatte. Er war ziemlich schlank und groß, wirkte dabei aber nicht so schlaksig wie etwa Zoeys Freund Alex. Brandon hatte dieses typische Surferboy-Aussehen, nur ohne meerblaue Augen.
Na gut. Hässlich war Brandon sicher nicht, aber er war einer der Typen, die genau wissen, dass sie mit ihrem Aussehen fast jede Frau haben können und deshalb unglaublich arrogant wirken.
Man konnte Brandon für das genaue Gegenteil von Thomas halten: Kurze schwarze Haare, graue Augen und immer frisch rasiert.
Ach, verdammt! Ich wollte doch nicht mehr an dieses Arschloch denken! Das zwischen meinem Ex und mir war vorbei. Ich sollte froh darüber sein! Nach den Jahren mit ihm konnte ich nun das tun, was ich wollte, ohne Rücksicht auf jemand anderen.
Nur warum freute ich mich nicht?
»Könntest du das?«, fragte ich naiv vom ganzen Alkohol.
Ich fühlte mich plötzlich schwach und hilflos, wollte nur vergessen, dass in meinen Leben alles den Bach runterging. Wenn ich morgen nach Österreich zurückflog, würde mich niemand erwarten. Meine Eltern waren nicht begeistert davon, dass ich wieder in meinem alten Jugendzimmer lebte, und meine Geschwister waren hier. Die Schule begann auch erst in gut einem Monat.
Ich würde den ganzen Tag allein sein und mit meinen Studienbüchern Themen und Übungen heraussuchen, die ich den Schülern in meinem ersten Jahr als Lehrerin näher bringen wollte.
»Natürlich.« Er grinste mich an und zeigte dabei seine weißen Zähne. »Ich werde dir das Gehirn aus dem Kopf vögeln, Ellen. Du wirst ihn nicht nur vergessen, nein, du wirst morgen kaum gehen können. Ich schenke dir eine Nacht, die du nie in deinem Leben vergessen wirst.«
»Meinst du einen One-Night-Stand?« Ich brachte das Wort kaum über die Lippen.
So etwas war mir eigentlich zuwider. Ich hatte noch nie einen Gedanken an eine spontane Liebesnacht mit einem Fremden verschwendet. Thomas war der erste und einzige Mann in meinen Leben gewesen, mit dem ich geschlafen hatte. Zwar hatte ich nicht das beste Liebesleben gehabt, aber ich hatte meine Bedürfnisse zurückschrauben können. Außerdem war mir mein Studium wichtiger gewesen.
Der Gedanke schien mir jetzt absurd, obwohl ich seit Monaten keinen Sex mehr gehabt hatte …
Mein Blick fiel auf meine Hand, die das Weinglas immer noch umklammert hielt. Den goldenen Ring an meinem Finger wollte ich am liebsten wegwerfen, aber er ging unglaublich schwer ab. Oder mir fehlte schlicht die Kraft, Thomas endgültig aus meinen Leben zu verbannen. Schließlich waren wir gute drei Jahre zusammen gewesen.
»Du bist wirklich noch eine halbe Jungfrau«, lächelte Brandon. Er zog eine Zigarette aus seiner Hosentasche und zündete sie an.
Eigentlich hasste ich Raucher wie die Pest, aber im Moment war mir alles egal. Ich war ungebunden und meine dunkle Seite drängte mich, mit Brandon zu schlafen. Einmal in meinem Leben wollte ich auch etwas wie ein Abenteuer erleben. Einmal wollte ich nicht die perfekte Ellen sein.
»Ja. Eine Nacht. Nicht mehr und nicht weniger. Am nächsten Tag bin ich weg.« Er streckte mir seine Zigarette hin. »Deal?«
Ich nahm sie ihm ab und tat einen Zug. Danach drückte ich sie aber sofort in einem Aschenbecher aus. Bäh! Tabak schmeckte schlechter, als ich gedacht hatte. »Deal.«
Ein raubtierhaftes Grinsen breitete sich in seinem Gesicht aus. Er stand auf und streckte mir seine Hand entgegen, als wollte er mich zu einem Tanz einladen. »Komm mit mir, schöne Ellen.«
»Du musst dich nicht noch mehr einschleimen«, sagte ich kühl. Mit einer Serviette trocknete ich meine restlichen Tränen. »Ich habe schon zugesagt, mit dir zu schlafen.«
Ich stand auf.
Mit meinen High Heels war ich fast genauso groß wie Brandon, was im Umkehrschluss bedeutete, dass er um die eins neunzig groß war.
»Das ist kein Geschleime. Du bist wunderschön.« Er berührte mit seinen Fingern kurz meine Wange. »Wenn du ab und zu lächeln würdest.«
Das Schlimmste an der ganzen Misere war der nächste Morgen: Ich hatte einen fürchterlichen Kater, der meinen Kopf beim Aufwachen minutenlang lahm legte. Außerdem tat mir alles, wirklich alles weh. Nicht nur mein Kopf, sondern auch meine Arme und Beine. Es war wie früher im Gymnasium, als ich oft stundenlang Leichtathletikübungen gemacht hatte, um mir regelmäßig Medaillen und Pokale bei Wettkämpfen zu holen.
Und dann fiel mir der Grund für den Muskelkater ein.
»Scheiße!« Fluchend stolperte ich aus dem Bett.
Dabei riss ich die Decke mit, um meine Blöße ein wenig zu bedecken.
Ich musste hier weg. Schnell. Ganz schnell.
»Fluch leiser«, grummelte der nackte Mann im Bett. »Ich habe einen Mordskater.«
Brandon hob den Kopf und lächelte mich an. Waren die Lippenstift-Flecken in seinem Gesicht und auf seinem Oberkörper etwa von mir?
»Nicht jedes Mädchen kriegt die Chance, mit einem Rockstar zu schlafen. Schätz dich glücklich und zieh nicht so eine Miene.« Er klopfte auf den nun leeren Platz neben sich. »Komm wieder ins Bett, Ellen.«
Ich erbleichte augenblicklich. »R-rockstar?«
Hoffentlich hatte ich mich verhört!
»Ich habe dir doch gesagt, dass ich eine Berühmtheit bin«, grinste Brandon. »Du hast es für eine Lüge gehalten, oder?«
Er richtete sich im Bett auf.
Erst jetzt fielen mir die verschlungenen Schriften auf seiner Haut auf und das Lederhalsband mit dem Anhänger in Form eines Plektrums.
Der Hass auf ihn steigerte sich ins Unermessliche: Er war nicht nur ein Arschloch, das Mädchen abfüllte, um sie ins Bett zu kriegen, nein, er war auch noch ein zu nichts taugender Rockstar!
»Ich bin Brandon Jackson von Empathica.« Er verbeugte sich grinsend im Sitzen. »Auch wenn du nicht aus diesem Land bist, hast du von mir gehört. Dein Bruder geht mehr oder weniger mit meiner besten Freundin aus. Sie heißt Natalie. Klein, wellige schwarze Haare, wenig Oberweite und hängt an deinem Bruder wie eine Klette.«
Ich kniff die Augen zusammen.
Beste Freundin? Hielt er mich für komplett bescheuert? Jetzt wusste ich wenigstens, mit wem diese Schlampe meinen Bruder betrog.
»Raus hier!«, brüllte ich so laut, dass Brandon zusammenzuckte.
Ich griff nach der Nachttischlampe und schleuderte sie direkt neben seinem Gesicht an die Wand. Ungläubig starrte Brandon die Tapete an, die ein paar Kratzer davon getragen hatte.
»Wow, diese Aggressivität liegt anscheinend wirklich in eurer Familie.« Er steckte sich lässig eine Zigarette, die er unter seinem Polster hervorgeholt hatte, in den Mund und zündete sie an. »Zoey blafft mich auch immer so an. Ihr könntet Charakterzwillinge sein, denn du bist viel heißer als sie.«
Ich schnappte laut nach Luft. »Hattest du mit ihr auch was?«
Jetzt fehlte nur noch, dass meine kleine Schwester bei diesen Rockstars wie ein Joint herumgereicht wurde!
Brandon runzelte die Stirn. »Ich schlafe nicht mit vergebenen Mädchen. Außerdem ist Alex ein Kumpel. Er ist ganz cool dafür, dass seine Freundin so eine Furie ist. Sie ist wie du.«
Ein erleichtertes Seufzen kam über meine Lippen.
Er stieß eine kleine Rauchwolke aus. »Bist du eifersüchtig?«
»Nein!«, herrschte ich ihn an. »Ich will nur, dass ihr alle meine Familie in Ruhe lasst!«
»Wer „wir“?«
»Ihr nennt euch Rockstars, obwohl ihr einfach nur Schmarotzer seid«, fauchte ich. »Ihr rennt einem Traum hinterher, der entweder nie in Erfüllung geht oder euch selbst zerstört!«
Plötzlich schien Brandon verblüfft zu sein. Er drückte die Zigarette am Nachtkästchen aus, erhob sich aus dem Bett und machte ein paar Schritte auf mich zu und … Oh, du meine Güte, er war immer noch nackt!
»Ah, daher bist du so komisch drauf.« Brandon tippte mir gegen die Stirn, worauf ich seinen Arm mit einem »Fass mich nicht an!« wegschlug. »Du hast deine Träume für deinen Mann aufgegeben, oder?«
Ich gab keine Antwort, sondern öffnete die Tür, packte Brandon am Arm und stieß ihn in den Hotelflur. Da er mit so etwas nicht gerechnet hatte, war es ziemlich leicht, ihn aus dem Zimmer zu befördern. Bevor ich die Tür zuschlug, schmiss ich ihm ein Polster nach, um seine Blöße zu bedecken.
»Das ist mein Hotelzimmer«, brüllte Brandon und hämmerte mit seinen Händen gegen das Holz.
Ich raffte schnell meine Sachen zusammen, streifte mein Kleid über und steckte meine Unterwäsche und meine Schuhe in meine schwarze Handtasche. Sobald ich das Zimmer verließ, schwor ich mir, die gestrige Nacht sei nie passiert. Dadurch fühlte mich ein wenig besser.
Doch dann machte mir das Schicksal einen fetten Strich durch die Rechnung: Brandon stand noch immer nur mit einem Polster „bekleidet“ vor der Tür, doch bei ihm waren Ian und Natalie.
Ian wirkte irgendwie belustigt, während Natalie kreidebleich neben ihm stand und mich anstarrte.
»Ich gehe nach Österreich zurück«, sagte ich zu meinem Bruder. Dieser Satz ließ das spöttische Lächeln auf seinen Lippen für eine kurze Zeit größer werden. »Mom und Dad werden wirklich froh sein, wenn ich ihnen erzähle, was ihr Sohn hier treibt, und natürlich auch, was Zoey hier abzieht.«
Ich wollte meine Geschwister nicht verraten, aber es war zu ihrer eigenen Sicherheit!
Wie erwartet erstarb Ians Lächeln. »Was?«
Aber ich hatte mich schon umgedreht und ging mit nackten Füßen den Flur entlang. Als ich mir sicher war, dass mich niemand mehr sah, rannte ich die Treppen hinab, aus dem Hotel und winkte das nächste Taxi heran.
Erst als ich am Flughafen war, hörten meine Hände und Beine auf zu zittern.
»Es ist nie passiert«, sagte ich. »Nie.« 
1. Kapitel
Meine schrecklich schreckliche Familie
Energisch landete ein weißer Teller vor mir. Meine kleine Schwester Zoey hatte irgendwie eine eigene Art entwickelt, den Esstisch zu decken. Dass dabei gut ein Fünftel des Tischgedeckes draufging, schien sie nicht weiter zu stören.
»Abendessen mit der Familie. Wie schön. Mir geht richtig das Herz auf.«
Zoey stöhnte laut und schmiss einen weiteren Teller für die Person hin, die rechts neben mir sitzen würde. Ein Stückchen des Randes brach dabei ab.
Hoffentlich würde diese Person nicht ihr Freund sein. Oder sein drogenabhängiger Halbbruder! Oh Gott, was, wenn Natalie aus den USA irgendeinen Sänger der Szene mitschleppen würde? Wie hieß noch einmal dieser versoffene und drogensüchtige Frontmann der Band mit dem Smiley als Logo? Kurt Cobalt? Oder Alice Cooper? Was, wenn Ozzy Osbourne Fledermäusen noch den Kopf abbiss? Oh Gott, bitte nicht den!
Und was wäre erst, wenn Natalie IHN mitbringen sollte?
Nein. Nein. Nein.
Natalie und Ian. Nur die beiden würden erscheinen.
Es ging darum, dass mein Bruder unseren Eltern seine neue Freundin vorstellen wollte. Warum sollte da noch wer mitkommen?
»Reiß dich zusammen«, herrschte ich meine kleine Schwester an, die auf der Stelle herumfuhr und versuchte, mich mit ihrem bösen Blick zu durchbohren.
Als ich sie nach beinahe zwei Jahren wieder getroffen hatte, hatte ich sie kaum wieder erkennen können: Sie trug ihre einst langen schwarzen Haare nun schulterlang und mit einem Pony. Der normalen Kleidung waren irgendwelche schwarzen Fetzen gewichen und musste ich noch einmal betonen, dass sie ein Tattoo hatte?
Ich hatte immer gesagt, dass ihre Freundinnen ein schlechter Umgang waren, aber hörte der lieben Ellen jemals jemand zu? Nein. Mir hörte nie jemand zu ... Nicht einmal meine Eltern hatten ein offenes Ohr für mich, wenn ich über die Trennung von meinem Ex-Mann redete. Vielleicht würde ich diese „Rat auf Draht“-Hotline anrufen, die es schon zu meiner Teenager-Zeit gegeben hatte. Da wurden die Leute ja dafür bezahlt, dass sie Leuten wie mir zuhörten und es war günstiger als ein Psychologe.
Ich bereute es stark, die letzten drei Semester im Studium über meine Familie, meine Geschwister gestellt hatte, aber das Praktikum war anstrengend gewesen und Seminar- und eine Bachelorarbeit schrieben sich bekanntlich ja nicht von allein.
»Ich reiß mich zusammen, wenn ihr euch auch zusammenreißt!«
Genervt schenkte ich mir ein Glas Rotwein ein, da mir Zoeys Zickigkeit sauer aufstieß. Gerne hätte ich gesagt, dass sie auch erst seit kurzem so zickig war, aber diese ständige Gereiztheit lag praktisch in unserer Familie.
Noch ein Gläschen Wein, Ellen?, hörte ich eine verführerische Stimme auf Englisch säuseln.
Ich wusste, dass die Stimme nur in meinen Gedanken existierte, trotzdem überlief mich ein kalter Schauer.
Es ist nie passiert. Nie!, mahnte ich mich selbst.
Ich straffte die Schultern und sah meine Schwester an. »Was soll das schon wieder heißen?«
Unbehaglich beobachtete ich, wie sie das Silberbesteck auf den gedeckten Tisch austeilte.
Unsere Mutter war mit dem Essen in der Küche beschäftigt und unser Vater hatte sich in seinem Büro verschanzt, weshalb nur Zoey und ich im Esszimmer waren. Seit sich mein kleiner Bruder entschieden hatte, seine Rockstar-Freundin auf ihren Touren zu begleiten und hier alles hinzuschmeißen, waren unsere Eltern nicht gerade gut auf Ian zu sprechen. Auch nicht heute, obwohl er uns besuchen kommen wollte, um irgendwelche Sachen zu klären und ihnen Natalie vorzustellen. Ich fragte mich, was er noch klären wollte. Hatte er sich doch von Natalie getrennt? Nein, dann hätte Zoey etwas gesagt.
»Ich habe eine Ahnung, wie Mom und Dad Natalie behandeln werden«, sagte Zoey finster. »Und soll ich dich daran erinnern, dass du sie bei unserem letzten richtigen Zusammentreffen mit Champagner angespritzt hast?«
Ich schnaubte laut.
Zoey musste mich nicht daran erinnern. Eigentlich war der Champagner für Ian gedacht gewesen, der mir ein Glas Wein ins Gesicht geschüttet hatte. Dass ich seine Freundin getroffen hatte, war mehr ein Unfall als pure Absicht gewesen.
»Natalie gehört nicht zur Familie«, erinnerte ich meine kleine Schwester. »Genauso wenig wie Alex.«
Es war dumm gewesen, sie auf ihre Freundin und ihren Freund anzusprechen. Ein Messer durchbohrte nun die grüne Tischdecke vor meiner Schwester. »Wage es ja nicht, die beiden aus unserer Familie auszuschließen! Muss ich dich erinnern, dass so jemand wie Thomas einmal zu uns gehört hat?«
Als der Name meines Ex-Mannes fiel, zuckte ich sofort zusammen. Meine Schwester schien nicht damit gerechnet zu haben, dass der Name so eine Wirkung auf mich hatte.
Ein besorgter Ausdruck huschte über ihr Gesicht. »Es tut mir Leid«, sagte sie leise und versuchte das Messer wieder aus dem
Tisch zu ziehen. »Liegt am Schulstress. Matura und so.«
Ich nickte und nahm ihre halbherzige Entschuldigung an. Ich musste lernen, mit meiner Schwester zurechtzukommen. Thomas hatte die gemeinsame Wohnung gehört und es war schwerer als gedacht, hier in der Nähe eine neue Wohnung aufzutreiben, so dass ich nicht jeden Tag ewig lange zur Schule fahren musste.
Ein schwarzer Fleck marschierte in die Küche. Beim näheren Hinsehen erkannte man blaue Augen und ein blasses Gesicht sowie eine menschliche Form. Manchmal fragte ich mich, ob die Röhrenjeans, die Zoeys Freund trug, ihm gehörten oder in dem Kleiderschrank meiner Schwester zu finden waren.
»Abend, Kali«, raunte er ihr zu. Alex legte seine Hände auf Zoeys Hüfte und zog sie zu einem Kuss auf die Lippen heran.
Ich musste schnell wegschauen, dass meine Schwester nicht den Neid in meinen Augen sehen konnte.
Nachdem die Schmatzgeräusche aufgehört hatten, sah ich die beiden wieder an und tat so, als würde mich ihre Beziehung anwidern.
Alex nickte mir zu. »Ellen.«
»Alex.«
»Stein!« Völlig überraschend stürmte eine weitere Person in die Küche und umarmte Zoey überschwänglich. »Ich missed dich!«
Überschwänglich. Schlechtes Deutsch. Eindeutig Natalie.
»Ich hab dich auch so vermisst, Nat!«
Die beiden Freundinnen umarmten sich, während ich mir wie immer unbeachtet vorkam. Ich hasste es, wenn man durch mich hindurch sah wie durch einen Geist. Es war schlimmer als in meiner Ehe!
»Hi Ellen«, begrüßte mich Natalie und versuchte ein wenig zu lächeln.
Ich schnaubte laut und griff nach der Weinflasche. Oh, die war schon wieder leer? Verdammt, ich täte alles für eine weitere Flasche.
»Wo ist denn Ian?«, fragte ich sie.
Natalie nahm so weit weg von mir wie es ging Platz. »Er redet noch kurz mit seinem Vater.«
Man konnte die Anspannung deutlich spüren. Ich mochte Natalie nicht und den „Typen“ in ihrer Band noch weniger.
»Was sagst du zu Alex' Fahrkünsten?«, fragte Zoey Natalie.
»Ich komm mir safer vor, als wenn ich mit Ian und seinem Motorrad mitfahre«, lächelte Natalie. »Du kannst gut autofahren«, wandte sie sich an Alex.
»Das kommt von den jahrelangen Rollerfahrten«, erwiderte der schwarzhaarige Musiker und zwinkerte meiner Schwester zu. »Es hat halt doch was gebracht.«
»Ja, dass du mit einundzwanzig endlich den Fetzen... haa-ah!«
Zoey stieß einen erschrockenen Laut aus, als sie Ian von hinten umarmte. »Hallo Zo!«
»Lass mich los, Ian!«, schrie Zoey und versuchte, sich strampelnd aus seiner Umarmung zu befreien.
Ich musste mich in den Arm zwicken, um mich zu vergewissern, dass ich wirklich nicht nur ein Geist war und übersehen wurde. Die vier redeten miteinander und schlossen mich aus. Toll. Dann redete ich mit mir selber.
Wie geht es dir, Ellen zwei?
Gut. Danke.
Nicht einmal ich wollte mit mir selbst reden!
»Hallo Ellen.« Das Lächeln aus dem Gesicht meines Bruders verschwand. »Wie geht es dir?«
Er war sicherlich noch beleidigt, dass ich unsere Eltern über die Lage in Amerika informiert hatte. Trotzdem. Er hatte sie ihnen widersetzt und war zu Natalie zurückgekehrt, warum machte er denn noch ein Drama darum? Er hatte, was er wollte. Ich war diejenige, die nichts mehr mit ihrem Leben anfangen zu wusste, außer jeden Tag zu nehmen, wie er kam.
»Gut.«
»Das ist schön.«
Und mit diesen Worten setzte er sich neben seine Freundin an den Tisch. Durch die Aufteilung fiel mir erst auf, dass insgesamt zehn Plätze gedeckt waren.
»Wer kommt denn no...«
Ich wurde von unserer Mutter unterbrochen, die mit einem dampfenden Topf aus der Küche kam.
Ihr Blick fiel sofort auf Natalie. Sie hatte die neue Freundin meines Bruders noch nie gesehen und war wohl gespannt auf sie. Öfters hatte sie gefragt, wer diese Natalie sei, aber ich wollte, dass sie es so erfuhr, quasi leibhaftig. Vielleicht konnte sie Ian den Kopf waschen.
»Schon wieder so eine«, murmelte sie etwas lauter. Dass Natalie deutsch sprach, konnte sie ja nicht ahnen. Nachdem sie den Topf in der Mitte des Tisches platziert hatte, streifte sie die dunkelblauen Topfhandschuhe von den Händen und reichte Natalie eine Hand. »Hi. So, you are Natalie?«
»Äh. Ja.« Ians Freundin stand auf und schüttelte unserer Mutter die Hand. »Ich spreche übrigens deutsch.«
Die Anspannung wurde nicht weniger, als mein Vater auftauchte und einen Blick auf Ians Freundin erhaschte. Es wurde auch nicht besser, als Natalie in knappen Sätzen erklärte, was sie in Anführungszeichen arbeitete. Es wurde erst recht nicht besser, als sie erwähnte, dass Ian sich von ihr aushalten ließ.
Ich gluckste glücklich vor mich hin. Auf dieses Gespräch hatte ich wochenlang gewartet. Zoey und Alex sowie Ian warfen mir böse Blicke zu.
Am liebsten hätte sie alle angeschrien, warum sie so dumm waren und ihr Leben nach einem Traum lebten.
»Willst du uns etwas sagen?«, blaffte mich mein kleiner Bruder Ian an.
Seit er vor ein paar Wochen in die USA gezogen war, hatte ich ihn nicht mehr gesehen.
Natalie, seine Freundin und Sängerin der Band, in der ... in der niemand, an den ich mich erinnerte, spielte, zuckte zusammen. »Ian ...«
»Sag es doch, Ellen.« Ich hatte Ian noch nie so wütend erlebt. »Gib zu, dass du Natalie nicht magst!«
Ich wollte gerade das Wort ergreifen und Ian deutlich machen, dass jemand wie sie ihn sicher betrog, als es an der Tür läutete und ich mit einem »Entschuldigt mich« aufstand.
Es kam mir gerade recht, dass ich zur Tür musste, denn das gab mir einige Augenblicke, mich abzureagieren.
Ich öffnete die Tür und erstarrte augenblicklich.
What happens in Vegas, stays in Vegas?
Ich sage nur eines: Glaubt den Spruch nicht!
»Hallo Elfchen«, begrüßte mich Brandon mit einem neckischen Lächeln auf den Lippen und zwinkerte mir zu. Ausnahmsweise war er angezogen. »Wie geht es dich?«
Seine schlechten Sprachkenntnisse waren es nicht, die mich erbleichen ließen.
Ich schlug ihm eiskalt die Tür vor der Nase zu.
Würden wir im Mittelalter leben, hätte ich ihm Pech durch eine Nase in der Burgmauer auf den Kopf schütten können. Dieses Thema wäre sicher interessant für den morgigen Geschichtsunterricht.
»Verdammt!«, fluchte ich und raufte mir durch meine Haare.
Die statistische Wahrscheinlichkeit, seinen One-Night-Stand aus Las Vegas, der nebenbei erwähnt ein berühmter Rockstar in den Staaten war und sich wahrscheinlich jede Nacht mit ein bis drei Mädchen begnügte, vor der Tür seines Elternhauses zu begegnen, lag bei geschätzten nullkommaeins Prozent.
Doch ich hatte vergessen, meinen Bruder und seine Freundin, die Sängerin der Band „Empathica“, einzubeziehen. Somit erhöhte sich die Chance auf fünfzigkommaeins Prozent.
Und diese Prozentzahl stand nun draußen vor dem Haus.
Und warum nannte mich dieser Kerl bloß „Elfchen“? Na gut, bei ihm klang es eher nach „Elfkchen“, was an seinem schweren amerikanischen Akzent lag, wenn er deutsch sprach.
»Ellen?«, ertönte die Stimme meiner Mutter aus dem Esszimmer. »Wer war denn das?«
Unfähig, mich zu bewegen, blieb ich an der Tür stehen. »Nur ein Vertreter!«
»Um acht Uhr abends?«
Plötzlich rauschte Natalie aus dem Zimmer und direkt auf mich zu. »Würde es dir etwas ausmachen, meinen parents und meinen besten Freund zu öffnen?« Sie hielt ihr Handy hoch. »Sie würden gerne reinkommen.«
Ich konnte nichts dagegen tun, als Natalie Brandon und ihre Eltern ins Haus ließ, außer hilflos daneben zu stehen und zuzusehen, wie mein One-Night-Stand mir zuzwinkerte und laut fragte, wem er denn die Flasche Rotwein reichen dürfte. Meine Lieblingssorte.
Er war trotzdem ein Arsch.

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